Mother of Pearl — we meet on the floor
Wir treffen uns auf gemeinsamem Boden – genau hier –, wo das grüne Dickicht der Bäume und Pflanzen den Blick auf das St. Florianer Stift zulässt. Da, wo sich verschiedene Klänge von menschlichem und tierischem Leben überschneiden – von der einen Seite die der Fußballspieler*innen des örtlichen Vereins und die Fahrzeuge einer weiter entfernten Straße, aus der anderen Himmelsrichtung die der Vögel und Frösche, immer auch die Geräusche des Wassers – sei es aus dem naheliegenden Wasserkraftwerk, sei es vom Teich, der unter dem gebauten Boden liegt.
Unser Treffpunkt ist durch eine unregelmäßige sechseckige Fläche markiert. Diese steht auf Pfählen am Rand eines der Teiche auf dem weitläufigen Gelände der St. Florian Stiftsteiche, genauer gesagt: eines Karpfenteichs, der Teil des Kunstareals „flora pondtemporary“ ist. Unsere Bodenfläche ist von einer halboffenen Kleinarchitektur, einem Pavillon, geschützt. Das regionale Holz, aus dem dieser gebaut ist, wurde karbonisiert. Das bedeutet: Die Oberfläche des Holzes wurde verbrannt und damit haltbar gemacht. Im Kontrast zu dem schwarzen Schimmer dieser verkohlten Schicht und den vielen verschiedenen Grüntönen, die von der Bodenfläche aus zu sehen sind, steht die irisierende Buntfarbigkeit des kreisrunden Fensters, das in eine der Wände eingelassen ist. Über uns ein Dachgarten, der die Synthese von Natur und Kultur fortsetzt, eine Verbindung, die die Konzeption von „Mother Of Pearl – we meet on the floor“ konsequent durchzieht.
Eine Muschel ist eine Muschel ist dieser Pavillon
Die Künstlerinnen Liza Dieckwisch, Ae Ran Kim, Jungwoon Kim und Klara Paterok haben den Pavillon „Mother Of Pearl“ über ein Jahr lang konzipiert und eigenständig gebaut – ihm liegt die Formensprache und die Funktion von koreanischen Jeongjas zu Grunde. Jeongja (亭子) kann ganz einfach mit „Pavillon" übersetzt werden. Er fungiert in der koreanischen Kultur als ein öffentlicher und zugleich intimer Ort des Zusammenkommens, der allen Menschen offensteht, ganz gleich, aus welchem sozialen Kontext sie kommen: Im Jeongja kann diskutiert werden, es finden darin Teezeremonien statt, man trifft sich dort. Am besten zieht man vor dem Betreten die Schuhe aus – eine ebenfalls koreanische Tradition und eine einfache Art und Weise, eine gemütliche, respektvolle Atmosphäre zu schaffen, die einmal mehr dazu beitragen kann, den Pavillon als gemeinsamen Raum zu verstehen und zu nutzen. Jeongjas sind – wie oftmals westliche Pavillonarchitekturen auch – so in der Landschaft platziert, dass sie sowohl einen schönen Ausblick auf diese gewähren als auch als Bauwerk selbst die Landschaft verschönern. Ein Jeongja ermöglicht das Verweilen in der Natur und das Betrachten der Natur, es bettet sich und alle Personen, die sich darin aufhalten, in den Naturraum ein.
Muscheln sind in der Kunst seit langem ein Faszinosum – sie wurden in den zurückliegenden Jahrhunderten vor allem wegen der diversen Formen ihrer Gehäuse bewundert, gesammelt und ausgestellt. Vor allem in der Epoche des Barock, die sich über das ausgehende 16. und das gesamte 17. Jahrhundert erstreckte, konnte man Muscheln aller Art in sog. Wunderkammern vorfinden. In solchen Sammlungsräumen bewahrten Adelige ihre kostbaren „Kuriositäten“ auf: von Menschen gefertigte Artefakte wurden gleichwertig zu Fundstücken aus der Natur als Mikrokosmos präsentiert. Auch das barocke Stift St. Florian besitzt eine Sammlung hunderter Mollusken, die auf schmuckvollen Podesten erhöht und in schützenden Vitrinen präsentiert wird.
Die Wertschätzung der Muschelkappen aus Kalk führte dazu, dass Muscheln gezeichnet, fotografiert und nachgebildet wurden. Im Rokoko fand diese Lust an der Mimesis, der nachahmenden Darstellung der Natur im Bereich der Kunst, in den stilisierten „Rocailles“ ihren Höhepunkt. „Muschelwerk“ wurde zum charakteristischen Merkmal der Architektur und ihres Bauschmucks in dieser dem Barock folgenden Epoche. Interessant ist dabei auch, dass die Nachbildungen der unregelmäßigen Muschelformen in Stuck, einem Gips-Kalk-Gemisch, die Muschelgehäuse auch materiell noch anklingen lassen. Diese maximal verkürzte Kunst-Geschichte der Muschel dient dazu, deutlich zu machen, wie sich das Verhältnis von Muschel und Kunst im Laufe der Geschichte gestaltet hat.
Ganz anders gestaltet „Mother Of Pearl – we meet on the floor“ die Verbindung von Architektur und Muschel – der Pavillon nämlich geht ein auf das, was Muscheln wirklich sind: Weichtiere, zwischen deren Klappen ein lebender Organismus geschützt wird und die mit ihrer Umgebung eine komplexe Verbindung eingehen. Muscheln werden hier nicht aus einer distanzierten Perspektive als passive, tote und starre Formen wahrgenommen, sondern als aktive Lebewesen.
Dieses Verständnis beruht auch auf der genauen Beobachtung der Künstlerinnen, die den Standort des Pavillons, die Stiftsteiche St.Florian, deren Geschichte und Funktion ausführlich recherchiert haben. Die Teiche wurden in der Barockzeit zur Karpfenzucht und als Eisteiche angelegt. So dienten sie den Bewohner*innen des Stifts als Nahrungsquelle und als Eislieferant für die dort ansässige Brauerei. Im Ökosystem des Teiches sind die Karpfen zudem die Wirte für die Große Teichmuschel, deren Larven mit dem Fisch eine Symbiose eingehen und die so heranwachsen können. Die Große Teichmuschel lebt sodann auf dem schlammigen Grund des Teiches, auf dem sie sich langsam fortbewegt und im Aufwühlen des Bodens ihre Nahrung herausfiltert. Neben der Muschel als Lebewesen ist für die Künstlerinnen die Kunstfertigkeit, das Ästhetische der Muschel, von besonderem Interesse. Hier bezieht sich „Mother Of Pearl“ speziell auf das Produktive der Perl-Mutter, darauf, was innerhalb der zwei Muschelklappen entstehen kann – in der tatsächlichen Muschel ist es die Perle bzw. das viel-facettige Perlmutt (engl. Mother of Pearl), in den Wänden des gleichnamigen Pavillons sind es Diskussionen, gemeinsame Essen, künstlerische Arbeiten und vieles mehr. Das Bauwerk ist dauerhaft für alle Interessierten zugänglich.
Verwoben-Sein – Menschliches und Nicht-menschliches Zusammentreffen
In den letzten Jahrzehnten werden die mannigfaltigen Beziehungsgeflechte der Welt, die uns umgibt, wieder sichtbarer. Mit „Mother Of Pearl – we meet on the floor“ wird über das Sinnbild der Muschel, der gedankliche Schritt vom Vorbildcharakter der Natur zu einer Verwobenheit des Menschen mit allen Lebewesen und seiner komplexen Beziehung zur Umwelt vollzogen. Der in der Epoche der Aufklärung konstruierte Dualismus Geist und Körper bzw. Geist und Materie, kann – auch mit Hilfe der Kunst – materiell und konzeptuell aufgelöst werden: Was bedeutet es, Natur /Kultur – Mensch /Natur – Stadt /Land nicht mehr einander gegenüberzustellen, sie nicht mehr gegeneinander auszuspielen? Wie können wir stattdessen als Menschen ein Verständnis wiedererlangen, welches die Verwobenheit von Kultur und Natur anerkennt oder ein neues Zusammentreffen von Menschen mit Pflanzen und Tieren ermöglicht?
Bei den Recherchen und dem Aufbau von „Mother Of Pearl- we meet on the floor“ spürten die Künstlerinnen Liza Dieckwisch, Ae Ran Kim, Jungwoon Kim und Klara Paterok diesen Fragen nach, indem sie die ökologischen und kulturellen Zusammenhänge um die Stiftsteiche St. Florian genau betrachteten. Dies bedeutete für die Künstlerinnen, die Geschichte der Umgebung zu recherchieren und den Bewohner*innen vor Ort zuzuhören, genau hinzuschauen, wie groß die Artenvielfalt um den Aufstellungsort herum ist, die Geschmäcker und Gerüche des Ortes aufzunehmen und schließlich ganz real mit den Füßen knietief im Schlammboden des Teiches zu stehen, während sie selbst die Fundamentpfeiler des Pavillons einsetzten.
Alle, die sich ebenso wenig wie die Künstlerinnen abgrenzen, sondern lieber zusammenkommen wollen, haben die Möglichkeit, sich hier auf dem gemeinsamen Boden von „Mother Of Pearl“ zu treffen.
Romina Dümler
Kunsthistorikerin, Düsseldorf
Thanks to the Embassy of the Republic of Korea, Vienna
Special thanks to our crowd
Mother of Pearl — we meet on the floor
Wir treffen uns auf gemeinsamem Boden – genau hier –, wo das grüne Dickicht der Bäume und Pflanzen den Blick auf das St. Florianer Stift zulässt. Da, wo sich verschiedene Klänge von menschlichem und tierischem Leben überschneiden – von der einen Seite die der Fußballspieler*innen des örtlichen Vereins und die Fahrzeuge einer weiter entfernten Straße, aus der anderen Himmelsrichtung die der Vögel und Frösche, immer auch die Geräusche des Wassers – sei es aus dem naheliegenden Wasserkraftwerk, sei es vom Teich, der unter dem gebauten Boden liegt.
Unser Treffpunkt ist durch eine unregelmäßige sechseckige Fläche markiert. Diese steht auf Pfählen am Rand eines der Teiche auf dem weitläufigen Gelände der St. Florian Stiftsteiche, genauer gesagt: eines Karpfenteichs, der Teil des Kunstareals „flora pondtemporary“ ist. Unsere Bodenfläche ist von einer halboffenen Kleinarchitektur, einem Pavillon, geschützt. Das regionale Holz, aus dem dieser gebaut ist, wurde karbonisiert. Das bedeutet: Die Oberfläche des Holzes wurde verbrannt und damit haltbar gemacht. Im Kontrast zu dem schwarzen Schimmer dieser verkohlten Schicht und den vielen verschiedenen Grüntönen, die von der Bodenfläche aus zu sehen sind, steht die irisierende Buntfarbigkeit des kreisrunden Fensters, das in eine der Wände eingelassen ist. Über uns ein Dachgarten, der die Synthese von Natur und Kultur fortsetzt, eine Verbindung, die die Konzeption von „Mother Of Pearl – we meet on the floor“ konsequent durchzieht.
Eine Muschel ist eine Muschel ist dieser Pavillon
Die Künstlerinnen Liza Dieckwisch, Ae Ran Kim, Jungwoon Kim und Klara Paterok haben den Pavillon „Mother Of Pearl“ über ein Jahr lang konzipiert und eigenständig gebaut – ihm liegt die Formensprache und die Funktion von koreanischen Jeongjas zu Grunde. Jeongja (亭子) kann ganz einfach mit „Pavillon" übersetzt werden. Er fungiert in der koreanischen Kultur als ein öffentlicher und zugleich intimer Ort des Zusammenkommens, der allen Menschen offensteht, ganz gleich, aus welchem sozialen Kontext sie kommen: Im Jeongja kann diskutiert werden, es finden darin Teezeremonien statt, man trifft sich dort. Am besten zieht man vor dem Betreten die Schuhe aus – eine ebenfalls koreanische Tradition und eine einfache Art und Weise, eine gemütliche, respektvolle Atmosphäre zu schaffen, die einmal mehr dazu beitragen kann, den Pavillon als gemeinsamen Raum zu verstehen und zu nutzen. Jeongjas sind – wie oftmals westliche Pavillonarchitekturen auch – so in der Landschaft platziert, dass sie sowohl einen schönen Ausblick auf diese gewähren als auch als Bauwerk selbst die Landschaft verschönern. Ein Jeongja ermöglicht das Verweilen in der Natur und das Betrachten der Natur, es bettet sich und alle Personen, die sich darin aufhalten, in den Naturraum ein.
Muscheln sind in der Kunst seit langem ein Faszinosum – sie wurden in den zurückliegenden Jahrhunderten vor allem wegen der diversen Formen ihrer Gehäuse bewundert, gesammelt und ausgestellt. Vor allem in der Epoche des Barock, die sich über das ausgehende 16. und das gesamte 17. Jahrhundert erstreckte, konnte man Muscheln aller Art in sog. Wunderkammern vorfinden. In solchen Sammlungsräumen bewahrten Adelige ihre kostbaren „Kuriositäten“ auf: von Menschen gefertigte Artefakte wurden gleichwertig zu Fundstücken aus der Natur als Mikrokosmos präsentiert. Auch das barocke Stift St. Florian besitzt eine Sammlung hunderter Mollusken, die auf schmuckvollen Podesten erhöht und in schützenden Vitrinen präsentiert wird.
Die Wertschätzung der Muschelkappen aus Kalk führte dazu, dass Muscheln gezeichnet, fotografiert und nachgebildet wurden. Im Rokoko fand diese Lust an der Mimesis, der nachahmenden Darstellung der Natur im Bereich der Kunst, in den stilisierten „Rocailles“ ihren Höhepunkt. „Muschelwerk“ wurde zum charakteristischen Merkmal der Architektur und ihres Bauschmucks in dieser dem Barock folgenden Epoche. Interessant ist dabei auch, dass die Nachbildungen der unregelmäßigen Muschelformen in Stuck, einem Gips-Kalk-Gemisch, die Muschelgehäuse auch materiell noch anklingen lassen. Diese maximal verkürzte Kunst-Geschichte der Muschel dient dazu, deutlich zu machen, wie sich das Verhältnis von Muschel und Kunst im Laufe der Geschichte gestaltet hat.
Ganz anders gestaltet „Mother Of Pearl – we meet on the floor“ die Verbindung von Architektur und Muschel – der Pavillon nämlich geht ein auf das, was Muscheln wirklich sind: Weichtiere, zwischen deren Klappen ein lebender Organismus geschützt wird und die mit ihrer Umgebung eine komplexe Verbindung eingehen. Muscheln werden hier nicht aus einer distanzierten Perspektive als passive, tote und starre Formen wahrgenommen, sondern als aktive Lebewesen.
Dieses Verständnis beruht auch auf der genauen Beobachtung der Künstlerinnen, die den Standort des Pavillons, die Stiftsteiche St.Florian, deren Geschichte und Funktion ausführlich recherchiert haben. Die Teiche wurden in der Barockzeit zur Karpfenzucht und als Eisteiche angelegt. So dienten sie den Bewohner*innen des Stifts als Nahrungsquelle und als Eislieferant für die dort ansässige Brauerei. Im Ökosystem des Teiches sind die Karpfen zudem die Wirte für die Große Teichmuschel, deren Larven mit dem Fisch eine Symbiose eingehen und die so heranwachsen können. Die Große Teichmuschel lebt sodann auf dem schlammigen Grund des Teiches, auf dem sie sich langsam fortbewegt und im Aufwühlen des Bodens ihre Nahrung herausfiltert. Neben der Muschel als Lebewesen ist für die Künstlerinnen die Kunstfertigkeit, das Ästhetische der Muschel, von besonderem Interesse. Hier bezieht sich „Mother Of Pearl“ speziell auf das Produktive der Perl-Mutter, darauf, was innerhalb der zwei Muschelklappen entstehen kann – in der tatsächlichen Muschel ist es die Perle bzw. das viel-facettige Perlmutt (engl. Mother of Pearl), in den Wänden des gleichnamigen Pavillons sind es Diskussionen, gemeinsame Essen, künstlerische Arbeiten und vieles mehr. Das Bauwerk ist dauerhaft für alle Interessierten zugänglich.
Verwoben-Sein – Menschliches und Nicht-menschliches Zusammentreffen
In den letzten Jahrzehnten werden die mannigfaltigen Beziehungsgeflechte der Welt, die uns umgibt, wieder sichtbarer. Mit „Mother Of Pearl – we meet on the floor“ wird über das Sinnbild der Muschel, der gedankliche Schritt vom Vorbildcharakter der Natur zu einer Verwobenheit des Menschen mit allen Lebewesen und seiner komplexen Beziehung zur Umwelt vollzogen. Der in der Epoche der Aufklärung konstruierte Dualismus Geist und Körper bzw. Geist und Materie, kann – auch mit Hilfe der Kunst – materiell und konzeptuell aufgelöst werden: Was bedeutet es, Natur /Kultur – Mensch /Natur – Stadt /Land nicht mehr einander gegenüberzustellen, sie nicht mehr gegeneinander auszuspielen? Wie können wir stattdessen als Menschen ein Verständnis wiedererlangen, welches die Verwobenheit von Kultur und Natur anerkennt oder ein neues Zusammentreffen von Menschen mit Pflanzen und Tieren ermöglicht?
Bei den Recherchen und dem Aufbau von „Mother Of Pearl- we meet on the floor“ spürten die Künstlerinnen Liza Dieckwisch, Ae Ran Kim, Jungwoon Kim und Klara Paterok diesen Fragen nach, indem sie die ökologischen und kulturellen Zusammenhänge um die Stiftsteiche St. Florian genau betrachteten. Dies bedeutete für die Künstlerinnen, die Geschichte der Umgebung zu recherchieren und den Bewohner*innen vor Ort zuzuhören, genau hinzuschauen, wie groß die Artenvielfalt um den Aufstellungsort herum ist, die Geschmäcker und Gerüche des Ortes aufzunehmen und schließlich ganz real mit den Füßen knietief im Schlammboden des Teiches zu stehen, während sie selbst die Fundamentpfeiler des Pavillons einsetzten.
Alle, die sich ebenso wenig wie die Künstlerinnen abgrenzen, sondern lieber zusammenkommen wollen, haben die Möglichkeit, sich hier auf dem gemeinsamen Boden von „Mother Of Pearl“ zu treffen.
Romina Dümler
Kunsthistorikerin, Düsseldorf
Thanks to the Embassy of the Republic of Korea, Vienna
Special thanks to our crowd